Die Anna-Freud-Schule bietet als Oberstufenzentrum in Berlin ein einmaliges Angebot an Fremdsprachen an, wie es an kaum einem anderen Oberstufenzentrum in Berlin zu finden ist. Bei uns können die SuS des Beruflichen Gymnasiums sowie eingeschränkt die FOS/BOS neben Englisch als 1. Fach als Grund/Leistungskurs aus folgenden Fremdsprachen ihre 2. Fremdsprachen wählen:
- Spanisch (Anfänger / Fortgeschittene), im Abitur als 3. oder 4. PK
- Französisch (Anfänger/Fortgeschrittene), im Abitur als 3. oder 4. PK
- Latein (Anfänger/Fortgeschrittene), im Abitur Latinum, 4. PK
- Italienisch als AG
- Altgriechisch / Latein als Projektkurs (mit möglichem Abschluss Hebräicum/Latinum)
Das vielfältige Angebot ist Glück und Herausforderung 😉 zugleich, da die Lerngruppen eine sehr große Heterogenität aufweisen. Dazu kommt, dass man in manchen Jahrgängen nur eine kleine Anzahl an Fortgeschrittene Lerner hat, die man zeitgleich mit den Anfängern abfangen muss, so dass die Frage nach Individualisierung und Differenzierung jeden Tag ansteht. Darüber hinaus merken wir, dass neben den Rahmenbedingungen unsere Schüler*innen von Jahr zu Jahr mehr Unterstützung im Sprachlernprozess benötigen. Die steile Progression in der 2. Fremdsprache, die unsere Schüler*innen ab der 11. Klasse bewältigen müssen, ist für viele häufig schon nach kurzer Zeit eine große Hürde. Frust und Demotivation schlagen schnell ein, so dass der Anschluss häufig einfach hingenommen wird und Spanisch/Französisch als “Ausfall” mit eingereichnet wird. Mit diesem Zustand möchten wir uns Fremdsprachenlehrer nicht zufrieden geben und haben uns deswegen auf aufgemacht, einen Weg in einen zeitgemäßen Fremdsprachenunterricht an der Anna-Freud-Schule zu finden. Dieser ist steinig, manchmal biegt man falsch ab, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir nun die richtige Auffahrt genommen haben.
Der erste Schritt
Wir waren uns bereits einig, dass wir etwas ändern möchten. Zum Auftakt ins neue Schuljahr haben wir zu unserer 1. Konferenz begonnen, unsere “Klientel” zu analysieren mithilfe einer Kompetenzfigur. Im Anschluss haben wir auf Grundlage dessen Ideen gesammelt, die zu unseren Kompetenzfiguren passen. Vieles davon haben wir dann im 1. Halbjahr zum Teil im Unterricht ausprobiert.


Dennoch kam bei einigen Kollegen*innen nach kurzer Zeit schnell wieder das Gefühl, dass sie nicht weiterkommen, stecken bleiben, Schüler*innen schnell die Motivation verlieren.
Damit wir die begonnene Analyse unserer Klientel noch einmal vertiefen und genau herausfinden, wer denn nun unsere “Kunden” sind und wie genau das Produkt aussehen soll, welches wir da irgendwie im Kopf haben, aber nicht wirklich greifen können, habe ich als Fachbereichsleitung Fremdsprachen eine lange Fachkonferenz angesetzt, zu der wir mithilfe einer Design Challenge genau diesen Fragen auf den Grund gehen wollten.


Wir haben uns also einen halben Tag genommen, um “agil” in 4 Phasen im Rahmen des Design Thinking an die Herausforderung anzugehen.
Phase 1: Problem identifizieren / benennen und als Problemfrage notieren.


Es zeigte sich bereits in dieser Phase ein wesentlicher Stolperstein: Problemfragen zu stellen, ohne sie direkt zu beantworten, die Antwort schon eigentlich zu kennen UND ohne zu bewerten! Denn genau hier kommt uns unser Job häufig in die Quere: unsere Ausbildung hat uns bisher immer vorgegeben, dass wir antizipieren müssen, Kriterien festlegen müssen, Erwartungshorizonte schreiben müssen: immer schon vorher wissen, was andere dann bald wissen sollen. DAS manifestiert sich auf Dauer so sehr, dass es uns schwer fällt, Fragen zu stellen, ohne die Antworten zu kennen. Fragen zu stellen, ohne zu Werten. Diese Erkenntnis war eigentlich schon DAS entscheidende Hinweisschild für einige Kollegen*innen an diesem Tag. Danach war alles frei und es ging in die 2. Phase.



Phase 3 war dann ein weitere wichtiger Schritt. Hier sollten die Kollegen*innen in Teams anhand von stereotypen Schüler*innen unsere Zielklientel beschreiben. DAS wichtigste Ergebnis: ALLE Teams hatten durchweg eine positive Grundvorstellung eines typischen Schülers/ typischen Schülerin. Selbst Kollegen*innen, die ab und zu eher “negativer” zu sein scheinen, haben besonders die Stärken hervorgehoben. Diese Erkenntnis war für mich als Leiterin so wertvoll, denn das ist das Wesentliche: ein positives Menschenbild, alles andere kriegt man hin 🙂

In der letzten Phase nutzten wir dann die positive Energie und es sollten Ideen gesammelt haben, aber “ohne Limits”. Diese Phase wurde von mir stark geleitet:

Wir haben dabei etwas die Zeit aus den Augen verloren, aber ich empfand das nicht so schlimm. Die Ergebnisse des Tages lassen das zu. Dies sind die ersten großen Schwerpunktziele auf unserem Weg zu einem zeitgemäßen Fremdsprachenunterricht an unserem Oberstufenzentrum. Diese wurden dann noch runter gebrochen und in Arbeitspakete geschnürt. Die Übersicht hängt zum Einen analog im Lehrerzimmer an einer Pinnwand als Kanban, um den Prozess zu visualisieren. Und es gibt es auch digital in unserem Ordner bei IServ.

Fazit:
Für alle Kolleg*innen war das agile Arbeiten neu. Zu Beginn war es etwas gewöhnungsbedürftig und besonders die Phase der Problemfrage drohte das Vorhaben zunächst zu kippen, da einige Kollegen*innen sich, es kam mir so vor, ertappt fühlten, Fragen “nicht richtig” stellen zu können, obwohl “es doch unser Job ist” und “man das doch kann” und “was das denn jetzt soll”. Das war schwierig für mich als Moderatorin auszuhalten, aber mit Eintritt in die nächste Phase und der “fiktiven Persona” änderte sich die Stimmung plötzlich und man merkte, dass alle Kollegen*innen empathisch waren und sich in unsere Schüler*innen hineinversetzen konnten. Auch die “freie Ideensammlung”: Ideen ohne Grenzen ließ die Köpfe rauchen und sprudeln und alle waren voller Eifer. Das war unglaublich zu sehen.
Die Pflege des Kanban und die Dokumentation sowie die Übersicht über die Einhaltung der Zeiten etc. müssen weiterhin von mir übernommen werden. Das sehe ich aber nicht als problematisch, da es einen “creative head” geben muss. Ich denke aber, dass ich beim nächsten Durchlauf einen externen Moderator dazu nehme, so dass ich ebenfalls als Teilnehmer mitmachen kann. Meine Ideen finden sich zum Glück in den Ideen meiner Kolleg*innen wieder, aber ich würde auch einfach mal gerne den Kopf frei machen und loslegen 🙂
Auch wenn eine Design Challenge eigentlich über einen längeren Zeitraum effektiver ist, sieht man aber, dass man auch im Kleinen beginnen kann, Strukturen aufzubrechen. Fachkonferenzen müssen nicht immer frontal ablaufen, sondern können arbeitsintensiv und gewinnbringend sein.
Ob es agil sein muss, mag jeder für sich entscheiden, aber für mich bieten agile Methoden zurzeit häufig die Antwort auf meine Überlegungen, da sie der momentanen Zeit angepasst sind: schnelles und flexibles Handeln auf Grundlage von Analyse, Reflektion und viel Kommunikation. Besonders der Punkt Kommunikation war für mich bei dieser Konferenz entscheidend: wir haben alle miteinander gesprochen, unsere Ängst und Bedürfnisse geteilt OHNE in Jammerei zu verfallen, sondern stattdessen diese Gefühle aufgegriffen und in positive Energie und neue Ideen umgewandelt.
In ein paar Wochen treffen wir uns zu einem kurzen Meet-Up, um den Ist-Stand jeder Arbeitsgruppe kurz vorzustellen und gemeinsam das Kanban entsprechend zu aktualisieren, wenn nicht schon geschehen. Das wäre mein nächster Punkt: Arbeitsgruppen visualieren/dokumentieren selbstständig ihre Ergebnisse, so dass nur kurze Meet-Ups notwendig sind, ohne lange Fachkonferenzen (die Informationslage kann ich auch per Newsletter rausgeben), die kurz und knackig und produktiv sind.
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